Was bleibt, wenn etwas endet?


Zwei rote Sessel vor einem tiefblauen Vorhang – über Jahre hinweg war dies das Bild, das die USINGER BLICKPUNKTE prägte. Sie standen für anregende Gespräche, für offene Debatten, für Begegnungen, die über den Abend hinaus nachwirkten. Doch Anfang April standen sie zum letzten Mal bereit für einen Moderator und seinen Gesprächsgast.
Ein Abschied mit Bedeutung

„Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören.“ Das war der Tenor der Begrüßungsrede von Birgit Wehner, Leiterin der Katholischen Erwachsenenbildung Taunus (KEB) zur Finissage der Veranstaltungsreihe. Vor 18 Jahren stellte sie gemeinsam mit einer Projektgruppe aus zehn Usinger Bürgerinnen und Bürgern das Veranstaltungsformat auf die Beine. Jetzt geht die Reihe, die den Dialog gefördert und Menschen miteinander ins Gespräch gebracht hat, in Rente. Denn die steht für viele der aktiven Beteiligten auch bald an und es besteht der Wunsch, „mal etwas kürzer zu treten“. Verständlich und doch bedauerlich. Markus Koob, Präsident des Lions Club Usingen-Saalburg und Bundestagsabgeordneter, brachte es auf den Punkt: „Dieses Format wird uns fehlen. Denn wir müssen uns fragen: Wie kann man in modernen Zeiten, die auch maßgeblich von Social Media geprägt sind, dafür sorgen, dass die Gesellschaft nicht auseinanderdriftet?“
Gesellschaft im Wandel - Plädoyer für Toleranz

Um den sozialen Zusammenhalt ging es auch im Gespräch mit dem Dompfarrer Dr. Johannes zu Eltz, dem letzten Gast auf den roten Sesseln. Das Motto des Abends war „L(i)ebenswert - Lebenswert - Was braucht unsere Gesellschaft?“. Mit den begrüßenden Worten „Wenn es ans Ende geht, ruft man den Pfarrer!“, setzte der Moderator Meinhard Schmidt-Degenhard ein heiteres Signal, auf das ein kluges und nachdenkliches Gespräch folgte. Der Pfarrer stellte fest, die Gesellschaft brauche „ein gebildetes und humorvolles Einverständnis mit der Uneindeutigkeit der Welt." Es entwickelte sich ein Plädoyer für Toleranz, für Nachdenklichkeit, für ein Miteinander, das nicht von schnellen Urteilen, sondern von Offenheit geprägt ist. Zentrales Motiv des Gesprächs war die Ambiguitätstoleranz – die Fähigkeit, Mehrdeutigkeiten auszuhalten und Widersprüche als Teil der Realität zu akzeptieren. „Es gibt einen Drang und Zwang zu Eindeutigkeit. Das gibt unsere Welt aber nicht her!“, betonte zu Eltz. In einer Zeit, in der einfache Antworten und schnelle Urteile dominieren, sei es wichtiger denn je, unterschiedliche Perspektiven zuzulassen und sich der Komplexität gesellschaftlicher Fragen bewusst zu sein. Nur so könne eine offene und respektvolle Gesellschaft bestehen.
Der Gesprächsgast wünschte sich die je individuelle Erkenntnis, dass das eigene Leben nicht auf der Erde begonnen habe und auch nicht auf dieser enden werde. „Wenn ich mein Leben unter dem Gedanken der Ewigkeit betrachte, hat dies Auswirkungen auf meine Entscheidungen“, so zu Eltz. Dieses nicht-materialistische Menschenbild sei eine zentrale Botschaft des Evangeliums und dies sei hochpolitisch, denn dass es – das Evangelium - menschliches Leben mitgestalten möchte, wohne ihm inne.
Den Initiatoren der USINGER BLICKPUNKTE gab der Pfarrer Tröstendes mit auf den Weg: „Seien Sie einfach von Herzen froh über sich selber. Etwas mit Anstand und Würde zu Ende zu bringen, ist eine große Leistung“.
Dank und Erinnerung
Zum Abschied versammelten sich einige der über die Jahre prägenden Gestalterinnen und Gestalter der Projektgruppe auf der Bühne im Christian-Wirth-Saal am Schlossplatz. Unter ihnen Ute Harmel von der Stadt Usingen. Sie fand bewegende Worte: "Wir verabschieden uns mit einem sehr erfüllten Gefühl und großer Zufriedenheit. Dankbar bin ich für alle Begegnungen. Und Birgit Wehner möchte ich zurufen, dass sie ihren Bildungsauftrag vollkommen erfüllt hat."
Abschließend erfüllte Musik den Raum, Gläser klangen aneinander, Stimmen mischten sich. Die Erinnerungen an vergangene Abende wurden lebendig – an Debatten über Stadtentwicklung, über Umgehungsstraßen, über Religion, über das Ehrenamt. Seit 2008 hatten die USINGER BLICKPUNKTE einen Raum für Diskussion geschaffen, hatten prominente Gäste wie Kardinal Walter Kasper, den Soziologen und Religionspädagogen Mouhanad Khorchide, den Publizisten Alfred Grosser und den Historiker Michael Wolffsohn und viele andere nach Usingen geholt und das Bewusstsein für gesellschaftliche Themen geschärft.
Ein Kapitel endet
Nun geht eine Ära zu Ende. Die Organisatoren – die Katholische Erwachsenenbildung Taunus (KEB), die Stadt Usingen und der Lions Club Usingen-Saalburg – blicken mit Stolz und Dankbarkeit zurück.
Die roten Sessel werden leer bleiben. Doch die Gespräche, die auf ihnen geführt wurden, die Ideen, die dort entstanden sind, werden weiterleben. Denn das Bedürfnis nach Austausch, nach Begegnung, nach Tiefe – es bleibt. Vielleicht wird es eines Tages eine neue Bühne geben. Eine neue Gelegenheit, zwei Sessel vor einem tiefblauen Vorhang aufzustellen. Und so bleibt die Frage: Was bleibt, wenn etwas endet? Die Antwort ist klar – der Wunsch nach Austausch und Dialog wird weiterhin in den Herzen der Menschen weiterleben.